
Verwahrung digitaler Vermögenswerte – Eine neue Rolle für Banken?
Kontrolle bleibt ein zentrales Versprechen digitaler Assets. Aber der wachsende Markt schafft neue Bedürfnisse. Xavier Lavayssière, Experte für digitales Finanzwesen, zeigt die Entwicklung auf.
Lesezeit: 7 Min.
Erinnerst du dich noch daran, wie du als Kind deine Schätze aufbewahrt hast? Während ich Spionagegeschichten las, faszinierten mich die Verstecke in alltäglichen Gegenständen, zum Beispiel in hohlen Büchern.Die frühen Tage der Krypto-Assets waren von ähnlichen Strategien geprägt. Die NutzerInnen, damals überwiegend Technikbegeisterte, generierten und speicherten ihre geheimen Schlüssel sorgfältig selbst. Bei solchen selbstverwalteten Wallets haben Personen die volle Kontrolle über ihre digitalen Vermögenswerte – sie tragen jedoch auch allein die Verantwortung und das gesamte Risiko.Mit dem wachsenden Interesse an digitalen Vermögenswerten werden auch die Anforderungen von Privatpersonen und institutionellen Anlegern an die Aufbewahrung und Nutzung immer vielfältiger. An dieser Stelle kommen neue Verwahrungslösungen ins Spiel.
Viele PrivatanlegerInnen haben in digitale Vermögenswerte investiert. In einigen Ländern besitzen sogar mehr Menschen digitale Assets als Aktien. Insbesondere jüngere Menschen sind in diesen Bereich eingestiegen. Während einige durch die Volatilität von Meme-Coins angezogen werden, zeigt das zugleich einen grundlegenden Wandel in der Wahrnehmung und Nutzung von Finanzanlagen durch jüngere Generationen. Vielen Neulingen fehlt aber das Fachwissen, das sie brauchen, um ihre Vermögenswerte sicher zu verwalten, und auch die Erfahrung, um eine geeignete Aufbewahrungsstrategie zu entwickeln. Wie wir noch sehen werden, hat diese Entwicklung zu neuen Angeboten geführt, die Sicherheit mit einem verbesserten Nutzungserlebnis kombinieren.Finanzinstitute entdecken ebenfalls digitale Vermögenswerte. Sie investieren direkt in diese neue Anlageklasse, experimentieren mit tokenisierten Vermögenswerten und bieten ihren Kunden entsprechende Produkte an. Banken und andere Finanzinstitute benötigen jedoch Sicherheitsmaßnahmen, Audits und Prozesse, die einzelne digitale Wallets nicht bieten können. Es ist keine akzeptable Strategie, wenn „Bernd aus der Buchhaltung“ einen Zugangscode auf einem Klebezettel notiert.
Die Verwahrung digitaler Vermögenswerte ist nicht nur eine technische Frage. Die Kontrolle über einen digitalen Vermögenswert bedeutet die Kontrolle über den privaten Schlüssel, der dessen Übertragung autorisiert. Die Verwahrung hat darüber hinaus auch eine rechtliche und wirtschaftliche Dimension. Ein Verwahrungsdienstleister hält die Vermögenswerte im Namen des Eigentümers, wobei Verträge und gesetzliche Vorschriften sicherstellen, dass der Kunde der rechtmäßige Besitzer bleibt. In der Praxis schützt der Verwahrer die privaten Schlüssel seiner Kunden oder zumindest einen Teil davon und stellt gleichzeitig die passenden Mittel zur Kontrolle bereit.
Die Geschichte der Krypto-Assets ist reich an Beispielen dafür, was bei einer unsachgemäßen Verwahrung schiefgehen kann.Das Krypto-System ist stark umkämpft. Die meisten großen Krypto-Börsen wurden bereits gehackt. Im Gegensatz zu Banküberfällen können digitale Diebstähle in Sekundenschnelle, in großem Umfang und grenzüberschreitend erfolgen. Schätzungen zufolge wurden seit 2011 Kryptowährungen im Wert von über 19 Milliarden US-Dollar durch Hacks und Betrug entwendet. Die im Folgenden vorgestellten Verwahrungslösungen können dazu beitragen, solche Verluste zu verhindern.
Bedienungsfehler und glatter Betrug haben ebenfalls zu erheblichen Verlusten geführt. So soll der Gründer von QuadrigaCX mit alleiniger Kontrolle über die Kundengelder gestorben sein, wodurch Millionenbeträge für immer verloren gingen. Mt. Gox, einst die führende Krypto-Börse, verlor Tausende Bitcoins durch eine Mischung aus Hacks und Missmanagement.Der Zusammenbruch von Celsius und FTX hat gezeigt, dass diese Plattformen die Vermögenswerte nicht wirklich im Namen ihrer Kunden verwahrten. Die Gelder von NutzerInnen wurden für riskante Investitionen verwendet, und bei der Insolvenz gab es dann keinen rechtlichen Schutz. Diese Vorfälle haben das Bewusstsein für die Bedeutung regulierter Verwahrungslösungen geschärft.Einige frühe Bitcoin-NutzerInnen gingen sogar so weit, ihre privaten Schlüssel in Metallplatten zu gravieren und in Banktresoren zu lagern. Die Verwahrung von Wertgegenständen und Finanzinstrumenten gehört traditionell zu den Kernaufgaben von Banken.Inzwischen steigen Banken zunehmend auch in das Geschäft mit der digitalen Verwahrung ein. Sie bieten Verwahrungsdienstleistungen für ihre KundInnen an und kooperieren mit etablierten Akteuren im Markt. Die Hinterlegung digitaler Vermögenswerte bei einer Bank bedeutet zwar, dass man einen Teil der Kontrolle abgibt, doch das Eigentum bleibt juristisch gesichert – und es entstehen zusätzliche Vorteile.Banken bringen jahrhundertelange Erfahrung in Vermögensschutz, Regulierungskonformität und Risikomanagement mit in den digitalen Raum. Sie übersetzen „Not your keys, not your coins“ in „Ihre Assets, unser Know-how“. Der institutionelle Ansatz kann über die reine Verwahrung hinausgehen und zusätzliche Dienstleistungen wie Versicherungsleistungen oder Reporting-Lösungen umfassen, die KundInnen beim Portfoliomanagement und bei steuerlichen Themen unterstützen.
Die Regulierungsbehörden definieren zunehmend klare Rahmenbedingungen für die Verwahrung digitaler Vermögenswerte. Hervorzuheben sind hier die Bemühungen der Monetary Authority of Singapore und der europäischen Markets in Crypto-Assets (MiCA). Diese behördliche Aufsicht bietet Anlegern eine zusätzliche Schutzebene: Institutionen müssen sich registrieren und nachweisen, dass sie die richtigen Strategien implementiert haben, um die Risiken für die Gelder der NutzerInnen zu minimieren.Die meisten Banken, die digitale Verwahrungsdienstleistungen anbieten, kooperieren mit spezialisierten Unternehmen, um Sicherheit auf höchster Stufe zu gewährleisten. Die Anbieter befolgen festgelegte Standards, sie werden regelmäßig geprüft und sie setzen modernste Technologien ein, die häufig über das hinausgehen, was in der traditionellen Finanzwelt üblich ist – etwa Hardware-Sicherheitsmodule, eine geografische Schlüsselverteilung und eine kontinuierliche Überwachung.
Die entscheidende Weiterentwicklung bei der Verwahrung digitaler Vermögenswerte ist die Möglichkeit, das Beste aus beiden Welten zu vereinen: technologische und institutionelle Sicherheit mit einem nahtlosen Nutzungserlebnis. Allerdings steckt der Teufel im Detail.Die Kontrolle über digitale Vermögenswerte kann unterstützt oder geteilt werden, um dir – zusätzlich zu den institutionellen Garantien durch die Zusammenarbeit mit einem professionellen Verwahrer – eine gewisse technologische Kontrolle zu gewährleisten. So kannst du deine Assets beispielsweise selbst verwahren und gleichzeitig ein institutionelles Backup für eine Wiederherstellung nutzen. Eine besonders fortschrittliche Lösung ist die Multi-Party Computation (MPC), bei der ein Schlüssel auf mehrere Personen verteilt wird. Sie können dann gemeinsam Transaktionen signieren, ohne eine zentrale Schwachstelle zu schaffen. Fragmente des ursprünglichen Schlüssels liegen bei dir und beim Verwahrer, was sowohl Autorisierungen als auch eine mögliche Wiederherstellung erleichtert.Der Bedarf an besseren Nutzererfahrungen steht im Zentrum der Weiterentwicklung der Verwahrung digitaler Vermögenswerte. Finanzinstitutionen müssen die Kontrolle oft auf mehrere Personen und mitunter verschiedene Organisationen verteilen. PrivatanwenderInnen wiederum brauchen Benutzerfreundlichkeit, Übersichtlichkeit und Schutz vor Betrug und Hacks. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sind Kooperationen im gesamten Wirtschaftssystem notwendig, damit Anwendungen, Wallets und andere Dienste nahtlos miteinander verbunden werden können.Auch der Zugang zu neuen finanziellen Möglichkeiten muss vereinfacht werden. Durch „Staking“ (ein Prozess, bei dem Kryptowährungen in einer Blockchain hinterlegt werden, um das Netzwerk zu unterstützen und dafür Belohnungen zu erhalten) und die sogenannte „Composability“ (die Fähigkeit verschiedener Protokolle und Smart Contracts, nahtlos miteinander zu interagieren und kombiniert zu werden) können digitale Vermögenswerte Erträge für ihre BesitzerInnen generieren. Das gilt auch für tokenisierte Anlagen. Diese Chancen machen es notwendig, dass Verwahrer sich anpassen und passende Partnerschaften eingehen, um den BesitzerInnen von digitalen Vermögenswerten entsprechende Angebote bereitstellen zu können.Durch digitale Vermögenswerte sind PrivatanwenderInnen bereits mit Hardware-Wallets vertraut, in denen die geheimen Schlüssel in einem abgesicherten Chip aufbewahrt werden – eine sicherere Variante im Vergleich zu Software-Wallets. Im institutionellen Bereich kommen die gleichen Technologien zum Einsatz, beispielsweise mittels Hardware-Sicherheitsmodulen (HSM) in Servern oder speziellen Hardware-Elementen für den Benutzerzugang.Natürlich müssen wir die Entwicklungen im Quantencomputing im Auge behalten. Die heute genutzten kryptografischen Verfahren zur Sicherung digitaler Vermögenswerte können für Quantencomputer anfällig sein. Glücklicherweise stehen Post-Quanten-Kryptografie-Verfahren, die gegen solche Angriffe resistent sind, kurz vor der Standardisierung. Das National Institute of Standards and Technology (NIST) in den USA veranstaltete hierzu im Jahr 2024 einen Wettbewerb, um geeignete Algorithmen festzulegen.
Die Verwahrung digitaler Vermögenswerte stellt eine wichtige Weiterentwicklung im Finanzdienstleistungsbereich dar. Sie erweitert traditionelle Finanzdienstleistungen um technologische Sicherheit und versetzt Institutionen in die Lage, die Bedürfnisse von PrivatkundInnen und institutionellen Investoren im Bereich digitaler Vermögenswerte gleichermaßen zu erfüllen.Banken sind aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung, ihrer hohen Reputation und ihrer engen Beziehungen zu den Aufsichtsbehörden besonders gut aufgestellt, um als zentraler Knotenpunkt für umfassende Lösungen zu fungieren. Indem sie robuste Technologie, regulatorische Konformität und benutzerfreundliche Dienstleistungen verbinden, können sie ein breites Spektrum an Nutzern digitaler Vermögenswerte unterstützen.Letztendlich spiegelt die Nachfrage nach einer sicheren, konformen und bequemen Verwahrung digitaler Vermögenswerte ein übergeordnetes Bedürfnis nach einer neuen Generation von vertrauenswürdigen Finanzdienstleistungen wider.
Die neuen Anforderungen an die Verwahrung digitaler Vermögenswerte
Was bedeutet Verwahrung digitaler Vermögenswerte?
Die Risiken der Verwahrung
Hacks und technische Fehler
Menschliche Faktoren
Insolvenz und Missbrauch von Geldern
Die Rolle der Banken
Institutionelle Expertise
Regulatorische Klarheit
Sicherheit auf Experten-Niveau
Die Zukunft der Verwahrung digitaler Vermögenswerte
Hybride Verwahrungslösungen
Nutzungserlebnis und Erträge
Hardware-Sicherheit und Post-Quanten-Kryptografie
Ein vielfältigeres Verwahrungsumfeld
Beiträge, die dem folgenden Thema entsprechen
VON XAVIER LAVAYSSIÈREExperte für digitale Finanzen, er berät Regierungen und Zentralbanken zu Finanzinfrastrukturen und Technologiepolitik.
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